Birger Schmidt im Interview mit der Fußball-Woche

„Lernort Stadion“ – dieses Projekt, das seit dem Start 2009 politische Bildungsarbeit in die Stadien holt und Jugendliche bestärken will, „aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben und ein Bewusstsein für demokratische Werte zu entwickeln“, hat sich enorm weiterentwickelt, seit wir vor einiger Zeit in der FuWo darüber berichteten. Neben der Möglichkeit für Schulen, im Olympiastadion oder der Alten Försterei in Kooperation mit Hertha und Union mehrtägige Projekte zu verschiedenen aktuellen Themen durchzuführen, hat der Verein inzwischen zahlreiche weitere Angebote ausgearbeitet. Der ruhende Spielbetrieb gibt uns die Möglichkeit, herausragende Initiativen im Bereich des Berliner Fußballs wie „Lernort Stadion“ näher vorzustellen. FuWo-Mitarbeiter Christoph Jungmann sprach mit Birger Schmidt, Ideengeber und Vorstandsvorsitzender des Dachverbandes Lernort Stadion e.V.

Foto Birger Schmidt
Birger Schmidt im Interview mit der Fußball-Woche

FuWo: „Herr Schmidt, natürlich steht auch bei Ihnen alles still. Können Sie über home office weiterarbeiten?“

Schmidt: „Ja, wir haben u.a. täglich mehrere Telefon- oder Videokonferenzen und versuchen mit der Situation so gut wie möglich umzugehen. Wir hatten vor einigen Tagen eine bewegende Videokonferenz, in der alle 20 Standorte sowie die DFL Stiftung zusammengeschaltet waren, da habe ich ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl wahrgenommen. Wir bieten verstärkt online Materialien an und würden eventuell vor dem Sommer, falls die Stadien geschlossen bleiben, auch in die Schulen gehen, solange das ausdrücklich für eine Übergangszeit gedacht ist und den Schüler*innen bewusst ist, was unser eigentliches Konzept ist. Danach würden wir aber schnell zu unserem eigentlichen Konzept „politische Bildungsarbeit im Stadion“ zurückfinden. Und wir hoffen sehr, dass unsere Methodenwerkstatt vom 8.-10.9. in Dresden stattfinden kann, wo sich alle Projektverantwortlichen treffen, sich austauschen und neue Strategien und Konzepte besprechen“.

FuWo: „Lernort Stadion ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, inzwischen auf 20 Vereine und also Stadien aus allen drei Profiligen. Geht die Entwicklung so weiter?“

Schmidt: „Ja, aktuell gibt es fünf neue Beitrittskandidaten, das liegt wegen Corona aber erstmal auf Eis. Auch unser Team in Berlin beim Dachverband ist stetig gewachsen, wir haben inzwischen 3,5 Stellen, die von fünf Mitarbeiter*innen wahrgenommen werden.“

FuWo: „Seit 2018 ist ja auch der 1. FC Union im Boot.“

Schmidt: „Ja, das freut uns sehr. Es gibt nur noch räumliche Probleme in der Alten Försterei, da müssen alle ziemlich flexibel sein. Dennoch ist Union sehr engagiert dabei – jeder Standort entwickelt ja auch eigene Themen-Schwerpunkte, bei Union sind es  momentan Sexismus und Homophobie.“

FuWo: „Wir finanziert sich eigentlich ‚Lernort Stadion’?“

Schmidt: „Durch die DFL Stiftung sowie das Bundesfamilienministerium, die einzelnen Standorte haben jeweils meist noch eine weitere Finanzierung durch die Bezugsvereine,  die Kommune und die Wirtschaft. Sehr wichtig ist auch die Arbeit des Beirats, dem neben den Förderern beispielsweise noch Vertreter der Robert-Bosch-Stiftung sowie der Bundeszentrale für politische Bildung angehören, das öffnet uns doch einige Türen“.

FuWo: „Ein Blick auf Ihre website verdeutlicht: neben den Lernorten gibt es weitere wunderbare, spannende Projekte wie ‚kick for Europe’, die ‚Auswärtsfahrten’ oder den ‚Trikottausch’, im Bereich Inklusion verortet. Gibt es ein Projekt, das Ihnen ganz besonders am Herzen liegt?“

Schmidt: „Nein, kein bestimmtes, weil ich gerade unsere Vielfalt so sehr schätze. Wir bzw. die einzelnen Standorte versuchen, immer am Puls der Zeit zu sein, sei es thematisch Nachhaltigkeit, Fußballkultur oder Integration, jeder Lernort hat eben auch seine eigene Ausrichtung. Der Schwerpunkt unserer Arbeit ist und bleibt aber die Persönlichkeits- und Demokratieentwicklung der Jugendlichen.“

FuWo: „Wenn hoffentlich bald wieder Normalität eingekehrt ist und eine Schule in Berlin bei Hertha oder Union den Lernort Stadion nutzen will, muss sie mit langen Wartezeiten rechnen?“

Schmidt: „Das kommt sehr drauf an, wann sie kommen will. Es gibt ausgesprochen begehrte Zeiten, meist die Wochen vor und nach den Ferien, die sind schnell weg. Bei anderen Zeiten unterm Schuljahr sieht es deutlich besser aus.“

FuWo: „Herr Schmidt, Sie bekamen im vergangenen Jahr das Bundesverdienstkreuz für Ihre Arbeit verliehen. Waren Sie überrascht? Wer hat Sie denn vorgeschlagen?“

Schmidt: „Das erfährt man nicht, wer einen vorgeschlagen hat, das bliebt geheim. Ich habe eines Morgens die Post aus dem Briefkasten geholt und in der Wohnung während eines Gespräches mit meiner Frau und meiner Tochter nebenbei einen Brief aus dem Bundespräsidialamt geöffnet und dachte, es ist eben eine Einladung zu einer Veranstaltung. Plötzlich sagt meine Frau: ‚Du wirst ja ganz weiß im Gesicht’ und ich antwortete: ‚Ich bekomme das Bundesverdienstkreuz’!“

Der Text und das Interview erschienen in der Fußball-Woche.

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